#64 (Im Watt des Samstagsmeeres)

Ich bin wach, aber ich weigere mich, meine Augen zu öffnen, mir fällt kein Grund ein. Die Singvögel haben sich verzogen, inzwischen kämpfen zwei Krähen um den besten Platz, ein totes Kaninchen oder meine Aufmerksamkeit; letztere will ich ihnen entziehen. Ich überlege, welcher Tag heute ist; ich weiß es nicht, ein Tag eben. Ein bisschen fühle ich mich wie Sonntag. Sonntag bedeutet: Der Tag steht zur freien Verfügung, aber er ist eine Art Schonfrist. Nach ihm folgt unweigerlich Montag, unnachgiebig, ungnädig, mit allen seinen Anforderungen. Ich bin noch krank, fällt mir ein; mir fällt das schon über viele Wochen hinweg jeden Morgen ein, so oft, dass ich es gar nicht mehr bewerte. Irgendwann, stelle ich mir vor, wird bestimmt wieder Montag sein; morgen jedenfalls nicht.

Meine Schulter ist kalt, sie war unter der Decke hervor gerutscht; ich decke sie zu. Zu spüren, wie sich die Kälte zurückzieht, wie sie schmilzt, gleich einem Stück Butter in der Pfanne, ist der erste Triumph des Tages. Ich überlege, welche weiteren Triümphe ich dem Tag abringen könnte und dann frage ich mich, ob Triümphe wirklich der plural von Triumph ist und ob ein Triumph nicht vielleicht schon reicht. Gefühlt ist jeder freie Tag, der nicht an einen Tag grenzt, der mit Anforderungen gespickt ist Samstag. Ich liebe Samstage, das heißt, ich habe Samstage immer geliebt, inzwischen bin ich gegenüber Samstagen gleichgültig geworden, wie man gegenüber Muscheln gleichgültig wird, wenn man am Meer lebt. Ich lebe in einem Meer aus Samstagen, genauer gesagt lebe ich im Watt des Samstagsmeeres, knietief. Hier ist alles weich und weit, aber eben auch sehr schlammig; jedenfalls komme ich nicht vorwärts.

Ich denke, ich könnte, und dann kann ich nicht mehr genau sagen, was ich denke, weil so viele Gedanken durcheinanderschießen, dass es mich überfordert. Gemessen an den letzten Tagen, lohnt auch der Aufwand nicht, Ordnung ins Geschieße zu bringen, weil ich von dem, was ich tun könnte doch nichts tun werde, das sagt meine Erfahrung.

Diese Lethargie ist neu für mich, gut, so neu nun auch wieder nicht mehr. Ich nehme mir vor, wenigstens eine Seite zu schreiben heute. Wäre geschafft.



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