„So. Fäden sind raus. Sie können sich anziehen. Bitte bleiben sie noch in der Kabine, die Ärztin will mit Ihnen sprechen.“ – „Okay.“ Die Antwort des Patienten klingt überrascht, unsicher, vielleicht ängstlich. Ich sitze eine Kabine weiter mit heruntergelassener Hose und baumelnden Beinen auf einer Pritsche.
Den kleinen Leberfleck auf meinem Schenkel habe ich gemocht. Geformt wie ein Reiskorn, elegant, glänzend. Wenn ich auf dem Klo saß, habe ich ihn gesehen. Der einzige andere Leberfleck zu dem ich eine Beziehung habe, sitzt hellbraun, zwischen linkem Handgelenk und Daumenwurzel. Alle anderen sind nur flüchtige Bekannte.
Als die Ärztin nach dem Hautcheck auf den Reisfleck zeigt und die Stirn in Falten legt, denke ich: Die finden immer was. Die wollen schneiden. Geld verdienen. Ich sage: ich kenne diesen Leberfleck, der verändert sich kein bisschen. Sie sagt: Aber er könnte, er ist ihr hässliches Entlein. Ich zeige ihr andere komische Leberflecke auf meinen Armen, manche ganz hell, manche erhaben. Alle harmlos. Aber der Reisfleck.
Noch am Tag der vereinbarten Entfernung frage ich mich beim Zähneputzen, ob ich das machen soll. H. sagt: „Schaden kann es nicht, du hast genügend andere besondere Merkmale.“ Fein, ich ziehe mich an und laufe zur U-Bahn. Das Wegmachen dauert 13 Minuten und da ist das Rasieren des Schenkels schon mit eingerechnet und meine Suche nach Worten, als mir die Chirurgin das von meinem Körper abgeschnittene Stückchen Ich in einer transparenten Lösung schwimmend vor die Nase hält, als wäre es eine Trophäe. „Unappetitlich“, sage ich schließlich. „Wie man’s nimmt.“, sagt sie und ich lache höflich, denke aber: Nein, egal wie man es nimmt, die sterbenden Zellen bleiben unappetitlich.
Die Schwester, die mir die Fäden zieht ist kräftig und trägt ein Kopftuch. Es ist mir peinlich, das zu schreiben, aber ich schäme mich dafür, dass sie mich in Unterhosen sehen muss und dass meine Unterhosen heute lila sind. Das legt sich, als sie „Tachchen!“ ruft.
Weil es mir Angst machen würde, wenn sie gleich zu mir sagt, dass die Ärztin noch mit mir sprechen will, presche ich vor: „Kommt die Ärztin gleich auch noch zu mir?“ So bleibe ich in Führung und darf mir kurz clever vorkommen, als die Schwester lachend „Genau!“ flötet. Ich schaue mir die verschorfte aber nun fadenfreie Narbe an und denke: Hab keine Angst vor dem Reisfleck, du kennst ihn. Kanntest.
Ich kenne ihn nicht. „Alles gut gegangen“, sagt die Ärztin „und kein Grund zur Sorge.“ Ihre Stimme geht nach oben am Ende des Satzes und das Aber, das nun folgen muss, trifft mich wie eine Ohrfeige. „Gut, dass wir den Fleck entfernt haben. Er enthielt bereits Tumorzellen.“ Sie spricht weiter, aber alles was ich denken kann ist: Tumorzellen. „Was? Tumorzellen?“, sage ich, als sie schließlich schweigt und mich ansieht. „Das war kein Krebs. Aber das wäre sehr wahrscheinlich Krebs geworden.“
Sie hat den Befund ausgedruckt dabei, bestimmt ist sie jeden Tag mit Menschen wie mir konfrontiert, deren Gehirn aufhört zu arbeiten, sobald sie Tumorzellen sagt. „Können Sie sich zuhause ganz in Ruhe durchlesen. Wenn Sie fragen haben, rufen Sie durch.“ Ich ziehe meine Hosen hoch, stecke den gefalteten Befund in meine Gesäßtasche, sage alle angemessenen Höflichkeiten auf und muss an die frische Luft.
Die Schwester mit Kopftuch liest den Schrecken in meinem Gesicht, als ich am Anmeldetresen vorbeilaufe, hinter dem sie inzwischen wieder sitzt. „Deswegen machen wir ja Hautchecks. Damit wir solche Zeitbomben finden und entschärfen.“ Ich bleibe stehen und atme. „Ihre ist entschärft.“ Sie nickt mir zu – ich nicke zurück. „Nächster Termin in 12 Monaten.“
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