#76 Menschen können Heimat sein,

schreiben gefühlige Mitvierziger in ihre Internettagebücher, aber in erster Linie sind Heimaten natürlich Orte und wenn man ehrlich und streng ist muss man einsehen: die Heimat ist vor allem ein Ort.

Meine Heimat ist eine Stadt in der ich mehr als drei Jahrzehnte gelebt habe, die grau und unscheinbar war in meiner Kindheit und mit meinem Eintritt ins absichtliche Selbstwerden ebenfalls selbst wurde. Schöner, moderner, voller, lebendiger. Ich liebte meine Stadt und fühlte mich zurück geliebt, aber ein bisschen zu sehr. Ich fühlte mich ein bisschen zu sicher, zu satt, zu bequem und so, als hätte ich zu früh sehr reich geheiratet. Ich wollte nochmal weg. Raus. Was erleben. Ich gebe unumwunden zu: als ich dann weg war und vom weg sein aus zurückschaute, hatte ich Mühe mir zu erklären, warum ich jemals gegangen bin.

Aber ich bin gegangen. Man bot mir einen Job an, man bot mir eine Stadt an und zwar eine, in der ich schon dreimal als Tourist war und die mir jedes mal wie eine Pappmaché-Kulisse für asiatische Touristen vorgekommen war. (Das zu schreiben ist zwar politisch nicht korrekt, aber die Wahrheit und zur Verkündung derselben habe ich mich ja heute hier versammelt.) Ich bin also direkt ins Spannungsfeld gezogen und konnte einen ganz spannenden aber nicht zu zugigen Ort ergattern. München war gut, wurde aber eines nicht: Heimat.

In meinen Urlauben von München fuhr ich manchmel nach Hamburg, auch dreimal, wenn mich meine Erinnerung nicht trügt. Jedes Mal liebte ich es ein bisschen mehr. Beim ersten Mal kam es mir sehr mondän und elegant vor, vielgereist irgendwie, so absurd das für eine Stadt klingen mag. Beim zweiten Mal kam es mir vor wie ein guter Ort für Gemeinschaft: ich stolperte beim Sightseeing von einer Demo direkt in den Schlagermove und von da aus in ein neu eröffnetes Hipster-Brauhaus, in dem ich kostenlos Bier aus waffelbechergroßen Gläschen kosten durfte. Beim dritten Mal hatte ich zwei Jobinterviews, das letzte an einem Sonntagmorgen in einem Café in der Schanze bei dem mich mein zuknftiger Chef zu einem warmen Croissant einlud. Natürlich bin ich nach Hamburg gezogen. Hamburg und ich sind glücklich zusamme und schlafen auch noch regelmäßig miteinander. Hamburg ist eine große Liebe. Aber Heimat? Ich bin nicht von hier.

Am Wochenende fuhren wir nach Leipzig zur Geburtstagsparty eines engen Freundes. Auf der Party war ich dann allein, du magst keine Partys, du kennst hier niemanden. Aber du magst Städte und so warst du in der Stadt mit mir. Vorgestern, gestern und heute auch. Wie Bukarest findest du, eine überschaubare und aufgeräumte Variante. Wie Wien findest du, aber nicht so morbide und abgegessen. Einladend wie eine dieser modernen riesigen pastellfarbenen Sofalandschaften, sagst du, mit Platz und Komfort und allerlei Bequemlichkeit, aber zum Glück nicht ganz so pastell.

Und dann machst du etwas interessantes und etwas interessantes nicht. Du fragst mich nicht, warum ich hier jemals weggegangen bin. Stattdessen willst du wissen, ob ich mir vorstellen könnte, zurückzukommen. Du könntest hier leben, sagst du, würdest hier lieber leben als in #hamburgmeineperle. Ich erkläre dir, dass du das vor dem dritten Besuch unmöglich wissen kannst. Wir vereinbaren, wiederzukommen im übernächsten Monat. Die Idee wieder nach Leipzig zu ziehen löst in mir eine stärkere Version des Gefühls aus, dass sich einstellt, wenn man nach 3 Wochen Wildnisurlaub im Caravan ohne Klo und Dusche, aber dafür mit Abenteuergarantie und eingebautem Dachzelt wieder in eine richtige Wohnung kommt. Mit Strom, unbegrenzten Mengen an warmem Wasser und einer Sofalandschaft. Ich atme tief.

Die Idee, wieder nach Leipzig zu ziehen, in meine Heimat, mit dir, der du auch Heimat geworden bist für mich, legt sich um mich wie eine schützende aber nicht zu warme flauschige Decke. Im übernächsten Monat werden wir sehen, ob ich so wohlig eingewickelt tanzen kann. Und du. Hier. Bei unserem zweiten Besuch.



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