Monat: Oktober 2014
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#44
Es klingelt. Ich bin genervt. Ich erwarte niemanden. Ich wäre gern einer von denen, dessen Tür seinen Freunden jederzeit offensteht, aber die traurige Wahrheit über mich ist: Ich habe sehr gern meine Ruhe. Und für heute Abend kein Essen bestellt. Auch kein Paket. Auch keine Zeugen Jehovas, die trauen sich bestimmt nie wieder, bei mir […]
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#43
Das Buch habe ihm gefallen, sagt Markus, er wolle sich noch einmal dafür bedanken, dass ich es ihm geschenkt habe. Welchen Witz diese Juli Zeh habe und welche Schärfe! Den Stil, den sie in ihren Poetik-Vorlesungen an den Tag legt, kenne man aus ihren Romanen ja gar nicht. Kassandra habe er ein paar Stellen vorgelesen, […]
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#42
Ich sitze am Kaffeetisch mit meinen Freunden und kaue Schokostreuselkuchen, mein zweites Stück. Die Freundin lobt das feine Aroma des Kaffees, der Freund nickt anerkennend ob ihres feinen Geschmackssinns und erklärt, dass dies sehr wertvoller Kaffee von Java oder aus Kuba oder Ich-habe-schon-wieder-vergessen-woher sei. Von dessen anregender Wirkung auf das Herz kommt das Gespräch auf […]
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#41
Ich liebe meine Hündin sehr, aber mit dieser Bernsteinkette sieht sie wie eine von den voluminösen, mittelalten Damen aus, die ihre feuerroten kurzen Haare mit riesigem extravaganten Schmuck im Dekolletee kombinieren. Der Bernstein schützt vor Parasiten, sagst du, und weil du derjenige warst, der seine Freizeit in der letzten Woche mit der Reinigung sämtlicher Heimtextilien […]
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#40
Ich drücke Markus immer, aber heute muss ich ihn auf seine stachlige Wange küssen. Die Maschine über ihm fängt sofort an gelb zu blinken, als ich ihn berühre, wahrscheinlich ist sie eifersüchtig. Wenigstens klingelpiept sie nicht, andernfalls hätte ich offenen Streit mit ihr. Ich erkläre Markus, wie er dieses Tablet bedienen muss um an meine […]
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#39
Ich muss mir auf die Lippen beißen, um nicht „Hey Markus!“ zu rufen, als ich Markus‘ Wohnung betrete. Ich versuche zu überschlagen, wie oft ich in den letzten zehn Jahren Markus‘ Wohnung betreten und „Hey Markus!“ gerufen habe, aber als die Zahl dreistellig wird, gebe ich auf. Markus hat die Angewohnheit, die Wohnungstür schon anzulehnen, wenn […]
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#38
Ich drücke den kleinen Edelstahlknopf und höre über den Lautsprecher, wie eine Telefonverbindung aufgebaut wird. Ich erkläre wer ich bin, wer Markus ist und seit wann er hier ist, und dass ich zu ihm muss, damit er mir seinen Wohnungsschlüssel geben kann, damit ich in seine Wohnung kann, damit ich ihm ein paar Sachen hole, […]
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#37
Es ist keine Fügung, höchstens Zufall und zwar ein lausiger, denn ich habe nachgeholfen. Andauernd berichtet Herrndorf in „Arbeit und Struktur“ vom Schwimmen im Plötzensee und weil der gar nicht weit von mir ist, will ich ihn wenigstens mal sehen an diesem übertrieben schönen Herbsttag. Zum Schwimmen ist mir längst zu kalt. Ich muss zwei […]
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#35
„Sehen Sie nur! Sehen Sie nur!“, flüstert die Frau in mein Ohr, nachdem ich meine Kopfhörer abgesetzt habe. Ich reibe mir die Augen und brauche eine Sekunde um zu realisieren, wo ich bin (im ICE irgendwo bei Wittenberg) und wann jetzt ist (Freitagnachmittag auf dem Weg nach Hause). Ich starre die Frau an (kurze, gelockte, […]