Du wachst auf, erhebst dich, setzt die Füße auf die kalten Dielen, stellst dich, läufst drei Schritte, stehst hier: Am Fenster. Der Morgen ist jung, alle anderen schlafen noch.
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#72 Mutig mir vorweg
Heute stellt F. eine Weiche in ihrem Leben. Und ich sehe sie das tun und weiß, das stellt auch eine Weiche für mich, denn ein Teil von mir ist auch Teil ihres Zuges.
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#71 Vorsatzkreisel
Wenn du dir zum ersten Mal seit Gott weiß wann zum neuen Jahr eben nicht vornimmst abzunehmen, mehr Sport zu machen und schlanker und muskulöser zu werden; sondern im Gegenteil hinnimmst, dass du gewachsen bist, wie du gewachsen bist und im Gegenteil annimmst, dass das okay sein muss, weil es in deinem Leben Menschen gibt,…
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#70 Anfang
Du wachst auf, setzt dich, setzt die Füße auf die rauen Dielen, stellst dich, läufst drei Schritte zum Fenster, stehst dort. Der Morgen ist jung, alle anderen schlafen noch. Durchs Fensterglas spürst du die Kühle auf Stirn und Wangen. Du befeuchtest deine Lippen. Es ist Schnee gefallen über Nacht – reichlich. So reichlich, dass der…
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#69 (wieder anfangen)
Je länger ich nicht geschrieben habe, umso schwerer ist es wieder anzufangen. Ich denke dann: Wenn du so lange ohne zu Schreiben gelebt hast, wie wichtig kann es dann sein? Ist dein Impuls, jetzt wieder anzufangen mehr als Sentimentalität und ein bisschen Geltungsbedürfnis? Und wenn du jetzt wieder anfängst, wie lange schreibst du dann? Du…
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#68 (Rocks me)
Immer wenn die Party ein bisschen ins Stocken gerät – zur Kinderdisco, während der Tombola, beim Baumstammsägen, blitzt es wieder in mein Bewusstsein. Heute ist der sechsundsechzigste Geburtstag meiner Mutter. Oder wäre. Sind Geburtstage auch dann, wenn die Personen, die ihn hätten nicht mehr sind? Egal, denke ich. Warum soll ich mich nicht amüsieren, denke…
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#67 (Phänomenologie)
Das soll doch ein Roman sein, denke ich, noch dazu ein guter, warum muss ich mich dann durch seitenweise Abhandlungen über Phänomenologie quälen und Worte wie Schisma und Apprehension aushalten, obwohl man die Dinge doch viel einfacher beschreiben könnte – pardon – kann. Ich schließe die Augen, auch weil mich die Sonne blendet und muss…
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#66 (Weichtier)
Seit elften Mai soll ich das Bein hochlegen und das Haus nur verlassen, um sicherzustellen, dass ich nicht verhungere. Ich soll wenig laufen, nicht rennen, nicht radfahren, nicht schwimmen und zu Hause nicht trainieren. Mein Bein ist kompliziert gebrochen und es dauert eben. Ich halte kaum aus, was das mit meinem Körper macht. Ich verwandele…
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#65 (Emily)
In dem Moment, in dem sich die Türen der U-Bahn ratternd schließen, höre ich meinen Puls. Er ist schneller als er sein sollte. Ich sehe einen freien Platz am Fenster in einem 4er Abteil. Ich würde gern sitzen, aber ich kann da nicht hingehen. Ich stelle mich in die Nische neben die Tür wo ich…
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#64 (Im Watt des Samstagsmeeres)
Ich bin wach, aber ich weigere mich, meine Augen zu öffnen, mir fällt kein Grund ein. Die Singvögel haben sich verzogen, inzwischen kämpfen zwei Krähen um den besten Platz, ein totes Kaninchen oder meine Aufmerksamkeit; letztere will ich ihnen entziehen. Ich überlege, welcher Tag heute ist; ich weiß es nicht, ein Tag eben. Ein bisschen…