Du wachst auf, erhebst dich, setzt die Füße auf die kalten Dielen, stellst dich, läufst drei Schritte, stehst hier: Am Fenster. Der Morgen ist jung, alle anderen schlafen noch.




  • #36

    Ich komme aus der Dusche und ich spüre noch die Hitze. Jene, die ich mir minutenlang in den Nacken habe prasseln lassen und auch jene, die wir vorher ineinander erzeugt haben, durch Reibung wahrscheinlich. Ich greife zu meinem Telefon, weil ich immer als nächstes zu meinem Telefon greife, und während ich den Luftzug genieße, den…

  • #35

    „Sehen Sie nur! Sehen Sie nur!“, flüstert die Frau in mein Ohr, nachdem ich meine Kopfhörer abgesetzt habe. Ich reibe mir die Augen und brauche eine Sekunde um zu realisieren, wo ich bin (im ICE irgendwo bei Wittenberg) und wann jetzt ist (Freitagnachmittag auf dem Weg nach Hause). Ich starre die Frau an (kurze, gelockte,…

  • #34

    Rosi, Nachbarin, 74. Ich, Nachbar, 34. Rosi: “Was machstn du am ersten Advent?” – Ich: “Wann? Ähm. Keine Ahnung.” – “Na, weil ich am ersten Advent Stollen backe.” – “Ja. Ähm. Aha.” – “Und da brauche ich dich.” – “Oh. Und wozu?” – “Na zum Teig kneten. Ich schaffe das nicht mehr. Hat dir das…

  • #33

    Es riecht ein bisschen nach Schweiß, als der Typ aus der Kabine kommt und an mir vorbei zum Waschbecken geht. Wir sind auf einer Herrentoilette in einem Studentenclub, denke ich, wie soll der Typ schon riechen. Ich sehe, wie er versucht, sich die Hände zu waschen und er sieht wahrscheinlich, wie ich versuche zu pinkeln.…

  • #32

    Salafistenbärtchen, denke ich. Und dann denke ich: Bitte was? Ich versuche, wenig Schlechtes über Menschen zu denken, aber da ich viel über Menschen denke, ist auch Schlechtes dabei. Und als mein Blick auf den jungen, arabisch aussehenden Mann fällt, der gerade eingestiegen ist, denke ich eben: Salafistenbärtchen. Ich will mich korrigieren, aber ich bleibe dabei.…

  • #31

    Ich habe eine Trauerkarte zu schreiben, aber wie schreibt man eine Trauerkarte? Die Schatten des Birkenlaubs tanzen wie wild auf dem weißen Papier; draußen findet ein fabelhafter Herbsttag statt. Hier drin hingegen verharrt die Spitze meines Kugelschreibers seit Minuten reglos über der Seite. Die Worte „aufrichtig“, „Beileid“ und „Verlust“ möchte ich vermeiden, sie können nicht…

  • #30

    Ich stehe vorm Spiegel und finde mich völlig ungefährlich. Ich sehe jungenhaft aus und kultiviert im Sinne von harmlos. Ich versuche, böse zu kucken, aber es wird nicht viel besser, vielleicht auch, weil eine Zahnbürste in meinem Mundwinkel hängt. Trotzdem: Wahrscheinlich hatte ich Glück gestern Nacht: Ich fahre mit meiner Hündin in der U-Bahn nach…

  • #29

    Ich mag Menschen. Ich bin ein freundliches Gemüt und erkenne in jedem Gesicht etwas Liebenswertes, Hübsches, Anziehendes usw. usf. Dieses Philantropie-Relais in meinem Kopf kriegt allerdings ein bisschen zu viel Strom und deshalb setzt es manchmal für ein paar Minuten aus. Wenn das passiert, während ich mich in einer U-Bahn irgendwo unter Berlin aufhalte, kriege…

  • #28

    Ich sitze im Zug und will schreiben. Ich muss schreiben. Und ich kann schreiben, ich habe meinen Rechner dabei. Ich klappe ihn auf und schreibe. Aber es ist Freitagnachmittag, und der Zug ist voll, manche müssen sogar stehen. Mir ist plötzlich, als würde ein zweiter Cursor in meinem Dokument auftauchen und zwar genau dort wo…